OPEN CALL paraflows .X Symposium

Unterschiedliche Wanderungsbewegungen durchziehen die Gesellschaft, in der wir leben, und verändern sie dabei unaufhörlich. Unser Leben, unsere Welt, unser Erfahrungshorizont und die Bedingungen unserer Verwertung werden dabei beständig „umstrukturiert“ (um ein ökonomisches Schlagwort ins Spiel zu bringen). Derartige Bewegungen finden auf allen relevanten politischen, ökonomischen und kulturellen Ebenen statt. Und in der Zusammenschau drängen sie – bei aller Verschiedenheit und Ungleichzeitigkeit – zu einem gemeinsamen Ausdruck: „Migration“. In einem erweiterten Begriffssinne kann Migration die Bewegung von Menschen und die Bewegung von Begriffen, Gütern, Ideen und Strukturen zusammenfassen, die so als Ausdruck ein und derselben Bewegtheit begriffen werden können.

Im Begriff der Migration liegen Aufbruch, Reise, Flucht und Getriebenheit als sich mithin überlagernde Erfahrungsmodi dicht, manchmal ununterscheidbar beieinander. Die ihm eingewobene Dialektik (als Möglichkeit, die uns keine Möglichkeit lässt), muss der Ausgangspunkt für alles Reden über „Migration“ und ihre konkreten Formen und Subjekte sein. Sie ist der besondere Ausdruck jener Freiheit zur Unfreiheit, die die spätkapitalistische Lebenswelt kennzeichnet. Wo wir diese Dialektik einbedenken, können wir uns vor einem Begriffsgebrauch schützen, der Migration zum affektiv belasteten Schlagwort macht, mit dem sich politische Ziele und ökonomische Interessen durchsetzen lassen – und zwar je leichter, umso isolierter bestimmte emotional aufgeladene Migrationsaspekte pars pro toto gestellt werden.

Die spezifische Form der digitalen Kultur als jener Kultur, die sich unserem Bewegungsverhalten anzuschmiegen vermag, verbindet die globalisierte Netzkultur mit jenen, die alles – oder doch vieles – zurücklassen müssen. Natürlich ist sei keineswegs so frei bzw. umsonst zu haben, wie es uns die Freie-Software-Bewegung einreden will, zumindest nicht, solange der Rechner, auf dem sei lizenzfrei und unentgeltlich läuft, nicht mitgeliefert wird – und ebenso wenig der Strom, der ihn antreibt. Dennoch teilen wir diese Technologie mit vielen Migrant_innen. Und je weiter wir ihre Zugangsbeschränkungen (etwa in Form kommerzieller Softwarelizenzen und privatwirtschaftlich verwerteter Patente) entgrenzen, desto mehr machen wir sie zum kulturellen Produktionsmittel all jener, die mit kleinem Gepäck umherziehen.

In der digitalen Kultur ist Migration nicht nur ein Lebensmodus und eine besondere Kulturform, sondern ebenso ein technologisches Faktum: Das Problem der Datenmigration ist so alt wie die Daten und die Medien selbst. Wo sie eines Speichermediums bedürfen, stehen Daten nur so lange zur Verfügung, wie dies die Medien tun, mit denen wir sie prozessieren können. Die Fragen zu aktueller Zurverfügungstellung und langfristiger Archivierung und Erhaltung, die sowohl auf die jeweilige Sammlung als auch auf die Öffentlichkeit, der man dabei verpflichtet sein müsste, sind in weiten Teilen bislang unbeantwortet geblieben.

paraflows .X möchte sich daher nicht nur mit den technischen Aspekten der digitalen Migration beschäftigen, sondern ebenso mit ihren sozialen und kulturellen Implikationen. Wir wollen fragen, unter welchen Bedingungen die Kunst eine migrantische, nämlich flüchtige und transitorische Form annehmen kann, was diese bedeuten und wie wir damit arbeiten können? Was bedeutet es für uns als digitale Kulturproduzent_innen, im Transit zu leben und immer nur vorübergehend an Kunst zu arbeiten, die unausweichlich eine bloß vorübergehende sein wird? Welcher Werksbegriff knüpft sich an dieses Primat einer oftmals positiv eingeschätzten Vorläufigkeit?

Werden uns die Bedingungen, zu denen wir arbeiten, von den technischen Mittel diktiert, die uns dabei zur Verfügung stehen – oder können wir diese mitgestalten? Und wenn ja, wie wollen und wie können wir sie verändern, während sie sich selbst verändern? Und: Wer bestimmt darüber, wann und warum Technologie ihre Anschlussfähigkeit verliert? Warum müssen wir dabei mitwirken, dass das geschieht – und immer wieder geschieht? Wer entscheidet über Kompatibilität und darüber, was nicht mehr kompatibel ist? Ist die schnelle Veralterung unserer Produktionsmittel ein Schicksal, dem wir nicht entrinnen können oder eine Chance, in ihnen nicht heimisch zu werden?

Und wie wirkt sich die rasante technologische Entwicklung innerhalb der digitalen Szene auf jene aus, die an ihr partizipieren, schon weil sie dieselbe Migrationsgeschichte haben? Wie gestaltet sich eine migrantische Kultur unter Zuhilfenahme digitaler Produktionsmittel?

Was verhält sich ihr Zwang zu ihrem Freiheitsmoment, und was ist dabei eigentlich Zwang, was Freiheit?

Was ist der Preis der Mobilität? Was müssen wir für sie aufgeben? Wie verändern die Digitalität die Objekte, Klänge und Sehgewohnheiten, denen sie auferlegt wird? Ist der Verdrängungskampf der Medien und Betriebssysteme ein Ausdruck der technologischen Evolution – oder ein Abdruck der ökonomischen Bedingungen, in denen diese sich vollzieht? Was macht eine darwinstische Technologie mit den Objekten, die sie hervorbringt? Ist der Verdrängungskampf, dem sie sich verdanken, noch von ihnen ablösbar oder hat er sich als ideologische Spur – als Source Code – in sie eingeschrieben?

Wir sind eingangs von einer Analogie ausgegangen, die sich zwischen eher realen und eher symbolischen Migrant_innen ziehen lässt. Auch wir haben sie dabei von außen – von unseren Interessen aus definiert. Inwieweit sind unsere Projektionen mit den realen Erfahrungen von Migrant_innen vereinbar? Wie wirkt es auf sie, wenn sich Menschen auf sie beziehen, deren Migration sie der technologischen Entwicklung entwirft, aber nicht der Willkür von privatisierten Grenzschutzagenturen? Inwiefern ist die begriffliche und die praktische Solidarisierung schon ein kolonialistischer Akt? Wie lässt sich eine migrantische Gegenbewegung gegen die Hegemonie der Sesshaften denken, und was können wir als Vertreter_innen digitaler (aber eben auch: analoger) Kultur dazu beitragen? Welches Wissen können die digitalen Migrant_innen den realen vermitteln – und was können sie von ihnen lernen?

Wie können wir als digitale Kultur den alles entscheidenden Unterschied zwischen Menschen auf Reise, die Metropolenhopping betreiben und denen dabei die allerneueste Technologie zur Verfügung steht, und jenen auf der Flucht, denen Zugänge verwehrt werden: zu Schlüsseltechnologien und nach Europa, realisieren, ohne darüber die Gemeinsamkeiten zu vergessen, die sie möglicherweise zu einer starken und solidarischen Bewegung machen könnten? Wie können wir uns auf Migration als (oft prekäres) Lebensmodell beziehen ohne sie dabei zu glorifizieren oder zu etwas Bloß-Schrecklichem abzuwerten? Und zuletzt: Wie können wir uns den vielfach aufgeladenen Begriff der Migration aneignen, ohne dabei die Erfahrungen von Migrant_innen zu überschreiben oder zu okupieren?


Informationen für die Einreichung von Vorträgen beim paraflows Symposium Digital Migration:

Dauer: 30 - 40 min. (+ 10 min. Diskussion)

Deadline für den Abstract: Dienstag, 30. Juni 2015

Benachrichtigung über Akzeptanz: Mittwoch, 15. Juli 2015

Konferenz Digital Migration: 11. bis 13. September 2015


Deadline für die Publikation: 30. November 2015

Der Abstract im Umfang von 1-2 Seiten sollte folgende Fragen beantworten

* Vortragstitel

* Angaben zum Referenten/zur Referentin (kurzer CV inklusive E-Mail, Telefonnr., Anschrift, Organisation)

* Ziele des Referats

* Kurze Beschreibung des geplanten Beitrags


Tagungsadresse

Alten Rathaus
Wipplingerstraße 6-8
1010 Wien


Kontakt

Günther Friesinger, Judith Schoßböck, Thomas Ballhausen

office@paraflows.at