Erzählungen: Digitale Identitäten zwischen Disziplinierung und Selbstdarstellung

SYMPOSIUM - Samstag, 17.09.2016, ab 15:00 Uhr

Moderation: Günther Friesinger

 

15:00 | Christoph Hubatschke
Fluchtmaschinen: "Minoritäre Technologien" zwischen Grenzzäunen und Big Data

Von Selbstschussanlagen an der türkisch-syrischen Grenze und Frontex-Einsätzen im Mittelmeer, von reinstallierten Stacheldrahtzäunen quer durch Europa bis zu Flüchtlingslagern, die mehr an Hochsicherheitsgefängnisse erinnern, die aktuelle politische Situation zeigt, dass die Überwachungs- und Kontrolltechnologien, die Disziplinargesellschaftlichen Institutionen und Technologien nicht verdrängt oder gar abgelöst haben sondern sich in unterschiedlichen Kombinationen mit eben diesen verbinden und erschreckend „effizient“ zusammenarbeiten. Zwischen der Identitätsfeststellung und der dividuellen Big Data Technologien besteht kein grundlegender Widerspruch. Am Beispiel von Technologien wie Face-recognition-software, biometrischen Datenerhebungen und Untersuchungen sowie verschiedener Refugee-Apps soll genau dieses unheimliche Zusammenspiel von Disziplinartechnologien und kontrollgesellschaftlichen Mechanismen untersucht und exemplifiziert werden. Daran anschließend soll nach den Möglichkeiten von Widerstand gefragt werden, und künstlerische wie technologische Praktiken von Refugees dargestellt werden, die sich den hegemonialen Mechanismen entgegensetzen oder zu entziehen versuchen.

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16:00 | Erwin Schmitzberger
Digital Storytelling - Biografie, Identität und Selbstdarstellung

Welches Erlebnis hat dein Leben am stärksten verändert? Welches besonderes Ereignis konnte nur von dir und nur in diesem besonderen Moment erlebt werden? Welche Erfahrungen bewegen und prägen dich und bleiben doch tief in dir verschlossen – obwohl sie auch für andere Menschen eine große Bedeutung haben könnten?
 
Seit über 20 Jahren werden diese Fragen weltweit in Digital Storytelling-Seminaren (nach der Methode von Dana Atchley und Joe Lambert) gestellt. Die Antworten sind höchst unterschiedlich, keine Geschichte ist gleich und doch sind die Muster ähnlich. In der USA sind so über 20.000 stories entstanden. Digital Storytelling als "outsider art" ist in den USA eine verbreitete Methode an Universitäten und in gesellschaftspolitischen Bewegungen (etwa im Civil Rights Movement), ebenso in Südamerika (z. B. Museu da Pessoa, Brasilien) oder in Großbritannien (z. B. Daniel Maedows BAFTA-preisgekrönten BBC Reihe Capture Wales).
 
Von Geburt an werden wir fotografiert und gefilmt - doch wohin wandern diese Bilder? Wer erzählt unsere Geschichte, was nehmen wir auf und was geben wir weiter? Welche Schätze enthalten das Familienalbum und die alten Super 8/Video Filme? Warum sind im deutschsprachigen Raum hingegen nur relativ wenige Menschen bereit ihre persönlichen Geschichten zu erzählen? Was steckt hinter diesen Hemmungen? Ist es eine Frage der Mentalität, der kulturgeschichtlichen Unterschiede? Wo verlaufen heute die Grenzen zwischen den Extremen der Verdrängung und der narzisstischen Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken?

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17:00 | Ulla Wester
Streaming Egos - digitale Identitäten. Perspektiven aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Portugal und Spanien

Wer sind wir im Netz und wie finden wir uns im digitalen Zeitalter zu neuen Gemeinschaften zusammen? Wie funktioniert das Spiel mit den selbst geschaffenen digitalen Identitäten in Italien, Belgien und anderswo in Europa? Schaffen wir diese wirklich selbst oder bestimmen nicht viel eher Algorithmen unsere Identität im Netz? – Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Projekt „Streaming Egos – digitale Identitäten“, das das Goethe-Institut zusammen mit dem Slow Media Institut Bonn und dem NRW-Forum Düsseldorf durchführte. Ziel des Referats ist es, das Projekt und seine Ergebnisse zu beschreiben und zu bewerten.

Für das Projekt wurden pro Land Künstler verschiedener Disziplinen sowie Netzexperten ausgewählt, die vier Monate lang zum Thema Identität arbeiteten – ein Laboratorium der kreativ-diskursiven Auseinandersetzung mit der Identitätsfrage im Kontext der Digitalisierung.  Auf dem Projektblog wurden sowohl der kreative Prozess dokumentiert als auch Hintergrundartikel veröffentlicht.
Die Ergebnisse wurden bei einem Festival im Januar 2016 vorgestellt und zeugten von einer großen Vielfalt: Sie reichte von Bildschirmen mit digitalen Kunstwerken über Portraits in Öl und einer riesigen, begehbaren Plastikblase mit Performance-Kunst bis hin zu einer Firewall-Drohnen-Performance und einem digital-physischen Salon.

Auch thematisch wurde eine große Bandbreite deutlich: Während sich der portugiesische Beitrag stark mit nationalen und europäischen Identitätsfragen befasste, ging es bei der italienischen Gruppe vor allem um das veränderte Selbstbild von Künstlern im digitalen Zeitalter, um Selbstdarstellung und die Fragilität von Glücks- und Erfolgsversprechen im Netz. Die französischen Präsentation einer Fallstudie – bei der ein "Durchschnittsprofil" aller in sozialen Netzen mit dem Namen Camille Martin vertretenen Personen erstellt wurde -  untersuchte den Aspekt der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen im Internet durch Algorithmen (ist der Mensch berechenbar? wie kann man sich vor Profilbildung, wirtschaftlicher Ausbeutung von Profilen, Überwachung etc. schützen?). Die spanische Riesen-Bubble stand unter dem Motto „Identität und der sinnliche, soziale und digitale Körper“ und betonte eindrucksvoll die Beziehung zwischen digitalem Erleben und Körperlichkeit. Die Performances der belgischen Teilnehmer rüttelten auf; es wurde deutlich, dass trotz aller Digitalität das Bedürfnis nach physischen Medien und Ritualen besteht. Dies zeigte auch der physisch-digitale Salon der deutschen Kuratorin, bei dem zwei TeilnehmerInnen per google hangouts zugeschaltet wurden, aber es ansonsten sehr physisch zuging mit Sofa, Teegebäck und Goethe-Büste.

Bei aller Unterschiedlichkeit gab es aber auch Themen und Fragestellungen, die sich bei allen Präsentationen wie ein roter Faden durchzogen, wie z.B. Self Narration und Identität, Voraussetzungen transnationaler Diskurse, Umgang mit öffentlichem und privatem Raum. Diese werden derzeit analysiert und in einen internationalen Kontext gestellt ; es entsteht eine Publikation, die zugleich Projektdokumentation ist als auch Analyse und Weiterführung der Ergebnisse.

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20:00 | WOLO Award Gala 2016

Audiobeitrag 01
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